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Die Berliner Romanistik in Zeiten des Nationalsozialismus

Zur Situation der Romanistik - Berliner Romanist:innen zur NS-Zeit


Zur Situation der Romanistik

Der endgültige Einzug nationalsozialistischer Ideologie in die Berliner Universitäten begann im Jahr 1931. Das Jahr datiert den Beginn einer personellen und geistlichen Transformation des Berliner Universitätsbetriebes im Sinne der nationalsozialistischen Idee. Auch der anfängliche politische und teilweise sogar gewaltsame Widerstand links-orientierter Studierender konnte diese Entwicklung nicht aufhalten. Bereits im Wintersemester 1932/33 gelang es dem noch jungen Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, die Mehrheit innerhalb der Allgemeinen Studentenschaft der Berliner Hochschulen zu erlangen und den neu gewonnenen Einfluss zur Umsetzung eines “aggressiv-diktatorischen Regiments” zu nutzen. Am 13. April wurde durch den offenen Aufruf der „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ zum Boykott jüdischer und politisch missliebiger Lehrende aufgerufen. Bereits einen Monat später wurde der Rassenanthropologe Eugen Fischer zum neuen Rektor gewählt. Dies war nur möglich, da der zuvor amtierende Rektor, Eduard Kohlrausch, nicht ausreichend offene Unterstützung durch die damalige Professor:innenschaft erfuhr. In seiner Rückschau sieht der renommierte Slawist Max Vasmer hierin einen Wendepunkt und wertet den Vorgang als entscheidenden Fehler der Professor:innenschaft zur Wahrung der politischen Neutralität der Berliner Universitäten gegenüber dem NS-Regime.

Auch wenn die Machtergreifung der Nationalsozialist:innen einen tiefen Einschnitt für die deutsche Romanistik bedeutete, blieb ein lautstarker Widerstand von Seiten der Romanistik gegen das neuen Regiment aus. Dies geschah, obwohl es zu der Zeit keine bekannten deutschen Romanist:innen gab, die vor 1933 der NSDAP angehörten.

In der Tat gab es 1933 zunächst keine Zäsur für die Neuphilologien als auch anfänglich wenige Parteimitglieder. In einigen philologischen Disziplinen führten mangelnde personelle Alternativen 1933 zur vorübergehenden Belassung von „Nichtariern“ im Lehramt. Dennoch gab es zum Teil Entlassungen an Lehrstühlen, die nur schwer zu kompensieren waren, etwa den Lehrstuhlinhaber Eugen Mittwoch (Amharisch und Altsüdarabisch). Allerdings traf der Personalmangel die Romanistik und die Slavistik nur vereinzelt. Spürbar wurden Veränderungen vor allem in der inhaltlichen Gewichtung einzelner Sprachen:
So war Französisch nur mehr Wahlfach an höheren Schulen, was einen drastischen Rückgang der Studierenden an den Universitäten zur Folge hatte. Rumänistik hingegen wurde besonders gefördert, da das rumänische Königreich von 1940 bis 1944 Bündnispartner des damaligen deutschen Reiches war (Link Gamillscheg). Trotz der deutsch-italienischen Annäherungen sowie der Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg wurden Italianistik und die Hispanistik indes nur teilweise gefördert.
Inzwischen ist bekannt, dass die romanistische Zustimmung zum nationalsozialistischen Staat größer war, als bisher angenommen. Auf wissenschaftlicher Ebene blieb die Romanistik zwar weitestgehend intakt, ihre Leiter:innen und Mitglieder hingegen hatten zum Teil Sympathien für Nationalsozialist:innen. Dieses binäre Muster innerhalb der Romanistik während des Nationalsozialismus wurde vielfach beobachtet. So bemerkte Leo Spitzer lange vor 1933, dass sowohl ein philologischer Forschergeist als auch ein Alltags-Nationalismus bestand hatten und beide – auch wenn dies widersprüchlich anmuten mag – friedlich nebeneinander koexistierten (vgl. Jehle 2018: 292f). Hausmann (2000: 157) nennt dies „Ambivalenz und Opportunismus gefährdeter Fachvertreter“; eine Haltung, die sich durch zahlreiche Beobachtungen bestätigen lässt.

Zu den bekannten Romanist:innen der Humboldt-Universität, die in den Jahren des Aufstiegs bzw. der Herrschaft des Nationalsozialismus tätig waren, gehörten unter anderem Max Leopold Wagner, Ernst Gamillscheg, Eduard Wechssler, Emil Winkler und Margot Sponer.

 


Berliner Romanist:innen zur Zeit des Nationalsozialismus

Durch Anklicken der Namen werden die Kurzbiographien der Personen angezeigt.

 

Max Leopold Wagner
abb_wagner.jpgMax Leopold Wagner wurde 1880 in München geboren. Schwerpunkt seiner Forschungen war das Sardische. Seine erste Studie zur sardischen Wortbildung legte er 1904 für sein Staatsexamen vor. 1905 bis 1906 führte er Feldforschungen bzgl. der Mundarten auf Sardinien durch. Auf seinen erhobenen Daten basierte seine Dissertation „Lautlehre der südsardischen Mundarten mit besonderer Berücksichtigung der um Gennargentu gesprochenen Varietäten“, womit er 1907 an der Universität Würzburg promovierte.
Danach unterrichtete er bis 1910 an einem Gymnasium im damaligen Konstantinopel, wo er sich in die Sprachen des Osmanischen Reiches, wie Türkisch, Arabisch und die Sprachen des balkanischen Raums, einarbeitete, und zum Judenspanischen forschte. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er beim Landsturm, ehe er aus gesundheitlichen Gründen für nicht wehrtauglich erklärt wurde. Ab 1915 unterrichte er an einem Gymnasium in Berlin.
1915 habilitierte er an der Universität Berlin in Romanistik mit der Venia für Spanisch und wurde 1922 zum Extraordinarius ernannt. Er hatte Arbeitskontakt mit Gerhard Rohlfs, hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit beim „Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz“ (AIS). Im Ersten Weltkrieg wirkte er im Rahmen eines Lautmuseums unter der Kommission von Heinrich Morf zwischen 1915 und 1922 bei Sprachaufnahmen sardischer Kriegsgefangener mit, die nicht überliefert sind.
1923 wurde Wagner aufgrund seiner Homosexualität wegen eines »Sittlichkeitsvergehens« verurteilt und musste die reguläre Lehrtätigkeit aufgeben. Er wurde zunächst sowohl an der Schule als auch an der Universität beurlaubt, 1925 reichte er dann selbst einen Antrag auf Entpflichtung aus Gesundheitsgründen ein. Dabei bemühte er sich, seine Homosexualität nicht als Entlassungsgrund erscheinen zu lassen. Er hatte Auslandsaufenthalte in Italien (1932 und 1937-1947 in Rom, wo er u.a. zum Sardischen lehrte) und Portugal (1935-1936 in Coimbra), wo er Lehrveranstaltungen abhielt. Es wird berichtet (vgl. Klare 2016: 62), dass Wagner gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von den deutschen Behörden politisch verfolgt wurde und er sich habe verstecken müssen. 1948 nahm er in Urbana (Illinois) eine Gastprofessur an und siedelte sich somit fest in den USA an. Er starb 1962 in Washington.

 

Ernst Gamillscheg
abb_gamillscheg.jpgAls Beispiel für einen Romanisten mit gemischtem Verhältnis zum NS kann Ernst Gamillscheg (1887 – 1971) gelten, der 1925 als Professor und Direktor des Seminars für romanische Philologie an die Berliner Universität kam. Er forschte und lehrte überwiegend im Bereich der Linguistik, das aber in gleich mehreren Sprachen. Neben Französisch, Spanisch und Italienisch als die großen romanischen Sprachen hielt er auch Vorlesungen über Provenzalisch und Rätoromanisch (vgl. Vorlesungsverzeichnisse 1937/38; 1938/19; SoSe 1939) und insbesondere Rumänisch. 1940 ging Gamillscheg an das Deutsche Wissenschaftliche Institut (DWI) in Bukarest, das Teil eines europaweiten Netzes wissenschaftlicher Einrichtungen war, die das Ziel verfolgten, die deutsche Sprache und Wissenschaft zu verbreiten, um Deutschlands Prestige im Ausland zu mehren (vgl. Hausmann 2000). DWI existierten in 16 europäischen Städten, unter anderem in Brüssel, Madrid und Paris. Als Leiter des DWI in Rumänien, zu dem damals gute wirtschaftliche und politische Verhältnisse bestanden, organisierte Gamillscheg zahlreiche Vorträge unter anderen in den Disziplinen Romanistik, Medizin, Wirtschaft, Technik, Chemie, Biologie und Geschichte.
Wie einer seiner Schüler, Yakov Malkiel, später schrieb, war Gamillscheg Befürworter eines Anschlusses seiner Heimat Österreich an Deutschland. Zwar war er seit seiner Jugend konservativ und hatte Kontakte zu rechten Kreisen, schaffte es aber, seinen Vorlesungen und Seminaren jegliche politische Propaganda fernzuhalten. Er bemühte sich auch, Unterrichtsthemen zu wählen, die für politische Ansichten unempfindlich waren und äußerte sich öffentlich nie antisemitisch. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass Ernst Gamillscheg von der Herrschaft der Nazis profitierte, da er als Leiter des DWI in Bukarest große Freiheiten sowie eine hohe Position genoss.
Ein Gegner des Regimes war er somit ganz gewiss nicht , was sich auch in seinem Werk äußert. Sein „Etymologisches Wörterbuch der Französischen Sprache“ von 1928 scheint in der Terminologie noch neutral zu sein. Das 1936 entstandene „Romania Germanica“ (Teil 1) dagegen spiegelt schon deutlicher völkische Sichtweisen wider. Während der Völkerwanderungszeit – dem „Heldenzeitalter […] unseres Volkes“ (S. VII) – habe es eine „altgermanische Volksseele“ (ebenda) gegeben. Diese Behauptung zielt im weiteren Verlauf darauf ab, Parallelen zwischen den Germanen der Spätantike und den Deutschen der 30er Jahre herzustellen, was zweifellos deutsche Großraumfantasien nährte.
Ob diese Veränderung in der Terminologie eine Anpassung an das neue Regime war, ist heute schwierig zu beurteilen. Festhalten kann man aber, dass Ernst Gamillscheg durchaus persönlichen Nutzen aus der Zeit des Nationalsoziaismus zog.

 

Eduard Wechssler
abb_wechssler.jpgEduard Wechssler (1869 -1949) lehrte zwischen 1920 und 1937 in Berlin, nachdem er in Tübingen, Heidelberg und Halle romanische und germanische Philologie studiert hatte. Seine Forschungsschwerpunkte lagen in der mittelalterlichen sowie modernen Literatur des Französischen und Provenzalischen. Wegen der Beschäftigung mit der modernen Literatur wird er oft als Pionier bezeichnet; andererseits wurde ihm auch vielfach vorgeworfen, mit der Kultur- und Wesenskunde antifranzösische Ressentiments gesät zu haben.
Ab 1920 war Direktor des Romanischen Seminars der Universität Berlin und führte zahlreiche völkerpsychologische Studien über das Wesen der Franzosen und der Deutschen. Er war der Meinung, dass es seine Pflicht als Wissenschaftler sei, sich ganz in den Dienst der Nation zu stellen. In seinen Veröffentlichungen wollte er zeigen, dass Frankreich die alleinige Verantwortung für den Krieg trug, und er wollte den Charakter der Franzosen identifizieren, um zu ihrer Niederlage beizutragen.

 

Emil Winkler
abb_winkler.jpgAls Nachfolger von Eduard Wechssler wurde im Jahr 1938 Emil Winkler durch das Reichserziehungsministerium berufen.
Er wurde am 4. Juni 1891 in Neutitschein/Mähren, im heutigen Tschechien, geboren. Winkler studierte germanische und romanische Philologie u.a. in Grenoble, Paris, Berlin und schließlich in Wien, wo er im Jahr 1913 promovierte und 1918 habilitierte. 1938 wechselte er nach Berlin. Dort bekleidete er neben Gamillscheg, einem altenr Studienfreund Winklers, den sprachwissenschaftlichen sowie den literaturwissenschaftlichen Lehrstuhl.
Im selben Jahr veröffentlichte er den Aufsatz „Vom sprachwissenschaftlichen Denken der Franzosen. Zur Frage der 'Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft'“. In diesem Beitrag kritisierte er die strukturalistische Perspektive Ferdinand de Saussures, zum Teil mit rassentheoretischen Argumenten. Winklers Arbeiten, vor allem seine literarhistorischen Werke, bezeichnet Bott (2010) als „eklatanten Rückschritt“ im Vergleich zum Niveau Heinrich Morfs oder Adolf Toblers und einen „Verrat der Berliner romanistischen Schule“, die beide mitgeprägt hatten. Er starb am 28. Januar 1942 in Berlin.

 

Margot Sponer
abb_sponer.jpgWie gefährlich eine Widerstandstätigkeit zu Zeiten des Nationalsozialismus sein konnte, beweist die Biographie der langjährigen Lehrbeauftragten der Romanistik an der Berliner Universität.
Margot Sponer wurde 1898 in Schlesien geboren. Sie studierte Romanistik, klassische Philologie, Germanistik und Arabistik in Halle, Leipzig, Berlin, Neapel, Grenoble und Madrid. Nach ihrem Staatsexamen im Jahr 1929 war sie bis 1933 als Spanischlektorin an der Universität Berlin tätig. Von 1933 bis vermutlich 1936 hielt sie sich in Spanien auf. Ihre Dissertation „Altgalizische Urkunden“ wurde 1935 gedruckt, womit sie ihre Promotion abschloss. Daneben veröffentlichte Margot Sponer auch weitere hispanistische Arbeiten, darunter eine Reihe nordkatalanischer Mundarten, die auf Schallplatten aufgenommen wurden. Ab dem Jahr 1937 war sie erneut als Spanischlektorin an der Universität Berlin tätig. 1938 machte sie eine Reise nach Mexiko; in ihrem Bericht äußerte sie sich kritisch gegenüber der dortigen linksorientierten Politik.
1942 wurde Sponer von der Universität Berlin entlassen- laut Akten war dies in institutionellen Konflikten begründet; vermutlich handelte es sich aber eher um politisch motivierte Gründe. Versuche, die Entlassung zu revidieren, blieben erfolglos. Von 1942 bis 1945 ging sie Übersetzungstätigkeiten, u.a. beim Auswärtigen Amt, nach. Nebenbei unterstützte sie aktiv Verfolgte, indem sie jüdischen Menschen und KZ-Häftlingen Paketsendungen schickte, und wurde von der Gestapo überwacht. Am 27. April 1945 wurde Margot Sponer von der SS verhaftet und hingerichtet.

 


Verwendete Literatur:

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft (2022): „Emil Winkler“ [Mitglieder historisch]. [online] https://www.bbaw.de/die-akademie/akademie-historische-aspekte/mitglieder-historisch/historisches-mitglied-emil-winkler-3025 [abgerufen am 1. Februar 2022].

Bott, Marie-Luise (2009): Die Haltung der Berlin Universität im Nationalsozialismus. Max Vasmers Rückschau 1948. Berlin: Humboldt Universität zu Berlin / Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte.

Bott, Marie-Luise (2010): "Von der Kulturkunde zum 'Kriegseinsatz'. Parallelentwicklungen und Divergenzen der Berliner Neuphilologie 1920–1945". In: H.-E. Tenorth (Hg.): Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Transformation der Wissensordnung. Band 5. Berlin: 495–520.

Dalstein-Paff, Susanne (2006): Eduard Wechssler (1869-1849), Romanist: Im Dienste der deutschen Nation, Kassel.
Hausmann, Frank Rutger (2000): Vom Strudel der Ereignisse verschlungen. Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann.

Jehle, Peter: „Von der NS-Romanistik zur Romanistik im NS. Implikationen einer Verschiebung“. In: Romanische Studien, Beiheft 4, 2018.

Kinas, Sven (2012): „Massenentlassungen und Emigration“. In: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Die Geschichte der Humboldt-Universität Unter den Linden. Band X. Berlin: Akademie Verlag GmbH, 325-404.

Klare, Johannes (2016): „Max Leopold Wagner und die Romanistik an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität bis 1945“. In: PhiN 78, 38-73 [online], http://web.fu-berlin.de/phin/phin78/p78t3.htm [zuletzt abgerufen am 28.Januar 2022].

Maas, Utz (2019): Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933-1945. In: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933-1945 [online]. https://zflprojekte.de/sprachforscher-im-exil/index.php/catalog/s/441-sponer-margot [zuletzt aufgerufen am 26.Januar 2022].

Malkiel, Yakov (1988): „Ernst Gamillscheg (1887-1971) und die Berliner Schule der Romanischen Sprachwissenschaft (1925-1945)“. In: Trabant, Jürgen (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der romanischen Philologie in Berlin, Colloquium Verlag, Berlin.

Naguschewski, Dirk (2010): „Mysteriöse Umstände- Warum der Romanist Max Leopold Wagner 1925 die Berliner Universität verließ“. In: Trajekte. 20 (10), 46-51.

Spranger, Eduard (1955): „Mein Konflikt mit der national-sozialistischen Regierung“. In: Universitas, 10, 457-473.

 


Margherita Cancellara, Ruslan Farschatov & Lydia Jünemann